„Was wollen nur alle von diesen kopierten Dingern?“ fragte ein Kollege kürzlich angesichts des anhebenden Rummels rund um die Tutanchamun-Wanderschau. Womit sich zwischen den Zeilen mal wieder ausdrückte, dass es mit dem Image der Kopie in der Kunst unverändert schlecht bestellt ist. Weiterhin gilt sie als B-Ware, als nachgemachtes Gut von zweifelhaftem Wert, als Schöpfung ohne eigenen Geist. Von dem bisweilen unterschwellig mit gedachten Wörtern Diebstahl und Verfälschung ganz zu schweigen. Der unumschränkte Herrscher im Gelände bleibt vorerst das Original. Seine Verehrung überschwänglich, seine Aura über alles andere erhaben. Die Kopie bleibt im Schatten. Gerecht ist das nicht oder besser gesagt: gerecht wird man ihr damit nicht.
Denn erstens ist das Kopieren eine urmenschliche Angelegenheit, ja man müsste fast sagen, ein göttliches Wirken in uns. Schon Gott schuf uns ja bekanntlich nach seinem Ebenbild, war also ein großer Kopierer. Hat ihn deswegen jemand jemals gescholten? Und wie sollten wir Menschen da anders können, wenn uns doch der Drang zum Kopieren quasi einprogrammiert wurde? Aus gutem Grund, kann man da doch nur sagen und mal den Blick nach hinten richten, zum Beispiel auf die mittelalterlichen Klosterschreibstuben. Dort standen die Kopisten, die Abschreiber in hohem Ansehen. Sie sorgten nicht nur für die bloße Vervielfältigung von Kulturgütern, sondern in der Ausbreitung auch für deren Fortbestand und Weiterentwicklung. In der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe liegt die berühmte Handschrift C des Nibelungenlieds. Sie ist ein Schatz, eine der tragenden Säulen unserer Kultur. Sie genießt allerhöchsten Schutz und das obwohl sie „nur“ eine Abschrift des Originals ist. Das existiert nicht mehr. Als sie angefertigt wurde, war sie vielleicht nur eine Kopie, heute aber hat sie die Aura des Originals. Mit anderen Worten, diese Kopie hat eine unermessliche Wertsteigerung erfahren. Nie sollte man deswegen eine Kopie zu früh verachten.
In Zentralfrankreich liegt die berühmte Höhle von Lascaux mit den umfassendsten Zeugnissen frühmenschlicher Malerei. Sie musste geschlossen werden, weil den Kunstwerken der Atem von allzu viel Besuchern nicht bekam. An ihre Stelle trat die Kopie, trat die Höhle von Lascaux II. mit ihren Nachzeichnungen. Kein gleichwertiger Ersatz, klar, aber ohne sie wären diese authentischen Zeugnisse vor unseren Augen zerbröselt und auf immer verschwunden. Originale sind zerbrechlich. Die Kopien schützen.
Wenn nun für die große Tutanchamun-Schau die aus rund tausend Objekten bestehenden Original-Grabbeigaben neu angefertigt wurden, dann geschah es auch hier mit einem Mehrwert, einem dritten Vorzug der Kopie. Die Macher wollten zusammenführen, was seit der Entdeckung des Grabs im Jahr 1922 nie mehr im Zusammenhang gesehen wurde: die Grabkammern des Tutanchamun mit allem drum und dran, was zur Totenreise eines Pharaos dazu gehörte. Jedes Detail im Bezug zu einem anderen Detail, jeder Kornsack, jeder Krug, jedes Diadem im ursprünglichen Gefüge. Diese Ansicht bietet das Ägyptische Museum in Kairo mit seinen zerstreut bewahrten Originalen nicht, wird es nie mehr bieten können. Wird mit dieser Gold funkelnden Groß-Replik deshalb gleich Verkitschung oder wissenschaftlich unseriöse Disneysierung hehrer archäologischer Güter betrieben? Dieser Vorwurf schwingt ja bei solchen copy-Projekten immer mit. Aber diese Kritik zieht hier nicht. Nicht nur, weil hier vorwiegend handwerklich, immer aber akribisch und maßstabsgerecht dupliziert wurde, sondern auch weil diese Schau buchstäblich eine Tür öffnet. Eine Tür zur Überwältigung. Die Nachbildung bewahrt zwar nicht den einzigartigen Moment der Entdeckung dieses weltberühmten Schatzes. Aber sie lässt uns eine Ahnung von der Wucht dieses Augenblicks erleben und ihn weiter vermitteln. Der Kopie sei Dank.
Wir sollten sie schätzen lernen und als das betrachten, was in ihrem Kern angelegt ist: nämlich eine Kulturleistung zu sein.
Übrigens letzter Gedanke ist nicht von mir. Er ist eine glatte Kopie. Entnommen habe ich diese Formel dem Buch des Kulturwissenschaftlers Dirk von Gehlen. Es heißt Mash-up. Und im Untertitel: Ein Lob der Kopie! Und dem kann ich mich nur anschließen.
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